Im Focus erschien folgender Bericht über das 1D-Konzert in München:
Die Hysterie der kreischenden Masse
Lauter als bei AC/DC: Die Boyband One Direction auf Tour
Kreisch-Alarm in München: Die weltweit derzeit
heißeste Boyband One Direction füllt die Olympiahalle. Ein Abend voller
Premieren: Für viele Mädchen ist es das erste Konzert ihres Lebens. Für
manchen Vater das erste mit Ohrenstöpsel.
In regelmäßigen Abständen
wird die ohnehin recht labile Gefühlswelt pubertierender Mädchen von
Boygroups auf den Kopf gestellt. Ob Take That, Back Street Boys, N‘Sync,
Westlife oder Boyzone: Das am Reißbrett findiger Musikmanager
entworfene Konzept ist seit jeher so einfach wie erfolgreich. Man nehme
(meist) fünf (immer) gut aussehende Jungs, von denen jeder einen anderen
Typ darstellt. Die – passend zur stets schwankenden Gefühlslage – mal
dahin schmachtenden, mal ausrastenden Teenies können somit zwischen dem
Schüchternen, dem Frechen oder dem Draufgänger wählen, je nachdem,
welche Idealvorstellungen sie von ihrem ersten Traumpartner haben.
Gesangsunterricht und Tanzchoreografie runden das Gesamtpaket ab. Das
Beherrschen von Instrumenten oder die Begabung zum Songwriting ist
zweitrangig.
Die britisch-irische Erfolgsformation One Direction – die derzeit
angesagteste und heißeste Boyband der Welt – fällt ein klein wenig aus
dem üblichen Boyband-Rahmen. Zwar lösen auch die Jungspunde Niall Horan
(19), Liam Payne (19), Harry Styles (19), Zayn Malik (20) und Louis
Tomlinson (21) allesamt schon mit einem Augenzwinkern hysterische
Kreischanfälle nahe der Hyperventilationsgrenze aus. Doch das 2010 von
Top-Produzent Simon Cowell in der britischen Castingshow „X-Factor“
entdeckte Quintett konzentriert sich in erster Linie auf seine starken
Stimmen, wie ihre am Freitagabend in München abgeschlossene Tournee
durch Deutschland eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Der Fokus liegt auf den Stimmen – und der Show
Denn trotz spektakulärer Leinwandprojektionen und charmanten Einspielfilmen, üppigen Feuer- und Rauchfontänen sowie Konfetti-Regen und Luftschlangen-Feuerwerk legen One Direction, oder „1D“, wie Fans den Bandnamen abkürzen, ihren Schwerpunkt auf den Gesang, auf ihre fair verteilten Soloparts, die pünktlich zum Refrain immer in mehrstimmigen Harmonien münden. Anstatt in einer starren, monatelang einstudierten Choreografie hüpfen die Bandmitglieder dabei übermütig, zuweilen auch etwas ungestüm und ungelenk über die Bühne, wenn sie sich zu den Balladen nicht einfach irgendwo hinsetzen.
Auch der gefühlte Höhepunkt hat wenig mit den Action-reichen Shows
früherer Tage im Stil von Take That oder Back Street Boys gemein. Auf
einem Steg schweben die Fünf über ihre weiblichen, kreischen Fans
hinweg, singen ihre Ballade „Change My Mind“, ehe sie auf einer
Mittelbühne angekommen eine mitreissende Version von „Teenage Kicks“
abliefern. Dass die Jugendhymne der nordirischen Punkrockband The
Undertones kaum jemand kennt? Geschenkt. Schließlich wir jeder Ton, jede
Geste, jede Bewegung frenetisch gefeiert.
Ein Großaufgebot der Security an doppelten Absperrungen sucht man
genauso vergeblich wie BHs oder Slips, die auf die Bühne fliegen oder
ohnmächtige Mädchen, die im Minutentakt aus den vorderen Reihen gezogen
werden. Aus – eben genauso diesen Sicherheitsgründen – ist die Arena
komplett bestuhlt, so dass sich ein Wellenbrecher an den anderen reiht.
„Ohne Ohrenstöpsel wäre ich jetzt bestimmt taub“
Dennoch geht die Hysterie der Masse zum Teil über die Schmerzgrenze. Mädchen bei One Direction können lauter (und vor allem wesentlich ausdauernder) kreischen, als erwachsene Männer bei AC/DC brüllen. Der Lärmpegel ist infernalisch, in manchen Momenten wahrscheinlich sogar über der zugelassenen Obergrenze von 105 Dezibel. Logische Konsequenz: Nicht nur Kinder, von den manche ihr erstes Konzert überhaupt erleben, sondern auch viele Eltern tragen Ohrenstöpsel. Manche verschämt zum ersten Mal.
Der weltweite Erfolg von One Direction ist umso erstaunlicher, da die Band weitestgehend unter dem Radar der allgemeinen (zugegeben erwachsenen) Wahrnehmung fliegt – trotz Rückendeckung von Majorlabel und Starproduzent. Groß angelegte PR-Kampagnen oder intensive Radiopromotion? Fehlanzeige. Die Band setzt voll auf die sozialen Netzwerke im Internet. Via Facebook, Twitter, Youtube oder Tumblr veröffentlichen sie seit Anbeginn ihre Songs und halten Kontakt mit den Fans. Täglich posten die Bandmitglieder eigenhändig Fotos und Sprüche, berichten vom Touralltag oder beantworten Fragen der Fans. Mit knapp 13 Millionen Twitter-Freunden hat Harry Styles die meisten Follower, gefolgt von Niall Horan (11,5) und Liam Payne (10,5).
„Wir wären bestimmt auch ohne das Internet erfolgreich, aber vielleicht nicht auf der ganzen Welt so berühmt“, räumt Liam Payne im Gespräch unumwunden ein. „Es wäre bestimmt auch nicht so schnell gegangen. Für uns ist das Netz ein Katalysator, der uns hilft, in neuen Ländern schneller Fuß zu fassen.“ Den persönlichen Kontakt zur Basis sehen er und Niall Horan als selbstverständlich an. „Natürlich posten wir nichts Persönliches oder Intimes. Aber wir geben uns Mühe, möglichst viele Frage zu beantworten. Den Beatles oder auch Take That hätte man noch einen Brief schreiben müssen – wohlwissend, dass er nie ankommt.“
Kinderaugen und Tattoos
Ob auf der Bühne, in den Einspielfilmen oder auch im Interview. One Direction präsentieren sich als eingeschworene und lustige Einheit, direkt an der Schwelle zwischen Jugendlichem und Erwachsenem, mit teils noch ungläubigen Kinderblick – aber schon ordentlich Tätowierungen auf Armen und Oberkörpern. Aber wenn sie von ihren Idolen erzählen, bekommt man doch den Eindruck vermittelt, dass es sich um eine bunt zusammengewürfelte Castingband handelt, reichen diese doch von Michael Bublé über die Eagles, Elvis Presley und Jay-Z.
Jazz, Country, Rock‘n‘Roll und HipHop: Man darf gespannt sein, inwieweit
sich diese persönlichen, musikalischen Vorlieben künftig in die bislang
bewährte Mischung aus Powerpop, Softrock und Balladen einspielen. Denn
irgendwann – auch das eine Regelmäßigkeit ein jeder Boyband – werden die
Fünf nicht mehr „nur“ Musik für kreischende Teenager präsentieren,
sondern sich auch weiter entwickeln wollen. Die eingangs erwähnten
Beispiele lassen grüßen. Der aktuellen „1D“-Mania tut dies keinen
Abbruch – und sie steht erst am Anfang: Im Sommer kommt ihr Tourfilm „This Is Us“ in die Kinos, für Herbst ist ein neues Studioalbum und für 2014 ist eine weltweite Stadiontour geplant.
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